- Klaus Wieland

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  • 2015: Erinnerungsfahrt 25 Jahre Freundschaft Darmstadt-Freiberg

    2008: Rede zur Verleihung der Freundschaftsplakette

  • 2003: Graz, Darmstadts charmante Schwester

  • 2002: Alte Zeiten und neue Strategien in Alkmaar

  • 2002: Euro-Noten sind ein technisches Wunderwerk

  • 2001: Kurische Nehrung - Reise in ein vergessenes Land

  • 2000: In Memoriam Piano-George

  • 1998: Polens Öffnung nach Westen

  • 1996: Nördliches Ostpreußen - Kaliningrad



9. Februar 1990 - 19. Februar 2015

„Aus der grauen Maus wurde ein Schmuckkästchen“

Erinnerungsfahrt 25 Jahre Freundschaft mit der SPD Freiberg

Am 9. Februar 1990 brach eine 25-köpfige Darmstädter SPD-Gruppe in die damals frischgebackene sächsische Partnerstadt Freiberg auf. Grund für eine Erinnerungsreise einer „Freiberg-kompetenten“ Reisegruppe unter der Leitung von zwei Mitbegründern der Städtepartnerschaft:
Gerd Grünewaldt, damals SPD-Fraktionsvorsitzender und Klaus Wieland, damals Stadtverordneter. Klaus Wieland erinnert sich: „ Wir kamen in einer dunklen Stadt an und entdeckten eine hinter kaputten grauen Mauern verborgene Bausubstanz, die darauf wartete, aus dem Schlaf zu erwachen. Heute kommen wir in eine vorbildlich restaurierte Altstadt mit wunderschönen Häusern.“ Gerd Grünewaldt ergänzte und war begeistert vom Neuaufbau des damals völlig maroden Schlosses Freudenstein mit seiner weltweit bekannten „Terra Mineralia“.
Die Parteifreunde der SPD Freiberg hatten sich große Mühe gegeben und betreuten die Gruppe in vorbildlicher Weise. Dr. Wolfgang Stölzel war damals „Mann der ersten Freundschaftsstunde“ und hatte das Programm gemeinsam mit Ortsvereinschef Gert Dombdera ausgearbeitet. Ein wenig neidisch blickten die Darmstädter beim Empfang im Rathaus: „So ein historisch schönes und wertvolles Haus werden wir nicht hinbekommen.“ In netter Weise wurde man von Sven Krüger, Bürgermeister für Verwaltung und Finanzen, empfangen. Gerd Grünewaldt hob in seiner Replik die Entwicklung der freundschaftlichen Verbindungen auf Stadt- und Parteiebene hervor und überbrachte die Grüße der Darmstädter SPD-Vorsitzenden Brigitte Zypries MdB. Nach 1990 folgten viele Begegnungen in beiden Städten. Besonders gern erinnert man sich an ein Wahlkampfseminar 1992 in Holzhau im Erzgebirge. Man lernte sich besser kennen und viele Freundschaften halten bis heute.
Damals brauchte der Dom dringend eine neue Heizung. Gerd Grünewaldt und Klaus Wieland erinnern sich an eine Spendensammlung dafür. Auch jetzt – nach 25 Jahren - begann die Domführung mit einem Konzert auf der berühmten Silbermannorgel. Nebengebäude wurden wieder dem kirchlichen Betrieb zugänglich gemacht. Neben dem Haus Obermarkt 1, wo die ersten Begegnungen 1990 eingeleitet wurden, ist das Besucherbergwerk „Alte Elisabeth“ den Freiberg-Veteranen in schöner Erinnerung. Nach einer Führung gab es in der „Betstube“ ein deftiges Abendessen auf Einladung der Stadt Freiberg. Ein kleines Orgelkonzert kam gut an und zum Abschluss sangen alle passend das „Steigerlied“. Die nächste Station war die „Terra Mineralia“. Dr. Rainer Hoffmann – ebenfalls Freiberger von 1990 – führte die Gruppe durch eine Mineraliensammlung aus allen Erdteilen. Die Darmstädter staunten über eine enorme Vielfalt und Rainer Hoffmann ließ die „Steine sprechen“ – denn er konnte viel über die spannende Entstehungsgeschichte erzählen.
Unvergessen wie der ganze Freiberg-Aufenthalt, wird das „Mittelsächsische Theater“ sein. Immerhin hatte man in diesem Theater am 24. November 1800 Carl Maria von Webers erste Oper aufgeführt. Chefdramaturg Mathias Wolf führte die Darmstädter persönlich hinter die Kulissen, bevor der Abend mit der Polit-Komödie „Der Parasit“ von Friedrich Schiller ausklang, in dem eine ehrenwerte Gesellschaft mit einem Intriganten entblößt wird. Die Freiberger und Darmstädter SPDler ließen sich keinen Spiegel vorhalten und amüsierten sich prächtig über die Satire. Im Juni wird ein neuer Oberbürgermeister in Freiberg gewählt. Sven Krüger versucht, auf den scheidenden parteilosen Bernd-Erwin Schramm zu folgen. Die Gruppe versprach ihm, die Daumen zu drücken.


1990 bis 2015 - Freiberg-Veteranen und ein Bürgermeister beim Empfang im Rathaus. Von links: 

Klaus Wieland (damals Stadtverordneter), Gert Dombdera (Ortsvereinsvorsitzender SPD Freiberg), Gerd Grünewaldt (damals Darmstädter SPD-Fraktionschef), Dr. Rainer Hoffmann

(SPD-Mitglied des Stadtrates) und Verwaltungs- und Finanzbürgermeister Sven Krüger (SPD).



Rede zur Verleihung der Freundschaftsplakette


Lieber Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,
vielen herzlichen Dank für die Ehrung.

Freundschaft in Frieden und Freiheit, der Name dieser Ehrung entspricht meiner Lebenseinstellung.
„Nie wieder Nazis, nie wieder Krieg“, war die Devise meiner Generation.

In den 50er Jahren sagte ich zu meinen Eltern und Großeltern:
„Ich will beim Frühstück entscheiden können, ob ich heute hinter den Ural oder an den Atlantik ohne Visum, Repressalien und Angst reise.“

Damals ein Vision.

„Das wirst Du nie erleben,“ war die Reaktion. Und weiter: „Jede Generation hat einen Krieg erlebt – auch Du wirst ihn erleben.“

Inzwischen leben wir in Europa seit 63 Jahren ohne Krieg. Die Europäische Gemeinschaft ist stabil, der Euro ist eine Erfolgsgeschichte. Wir alle müssen weiter am gemeinsamen Haus Europa bauen.

1989/90 begann für mich mit dem Fall des Eisernen Vorhangs die Reisefreiheit in Richtung Osten.

Zusammen mit Stadtrat Gerhard Busch war ich auf der Suche nach einer Partnerstadt für Darmstadt in der damaligen DDR. Unterstützt wurden wir von der TU. Das mündete im gemeinsamen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung für Freiberg in Sachsen. Freiberg habe ich unzählige Male besucht.

1992 besuchte ich Płock in Polen und war bei der Verschwisterung in Ushgorod dabei.

1993 hatte ich das große Glück, bei der Feier in Liepaja dabei zu sein.

Damals lernte ich dort einen der großartigsten Menschen kennen:
Frau Waltraut von Tiesenhausen, die heute hier unter uns ist. Ihre Kraft, ihr immerwährender Optimismus und ihre Ideen haben mich beflügelt. Ich danke Frau von Tiesenhausen dafür von ganzem Herzen.

Alle Partnerstädte Darmstadts jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhanges kenne ich.

Und da gibt es ein weiteres Vorbild: Den leider verstorbenen Freund Heinrich Knieß – seine Frau ist heute hier. Heinrich Knieß hat die Partnerschaften mit Szeged und Gyönk in Ungarn begründet. Seiner und der Name seiner Frau stehen für die Versöhnung zwischen Deutschen und Ungarn.

Danken möchte ich auch Dagmar Lindenberg-Blöcker und meinen Vorstandskollegen von der Darmstädter Initiative für Liepaja, Imanta Molter, Walter Schmidt , Gerd Grünewaldt und meiner Frau. Ihnen verdanke ich einen Teil der heutigen Ehrung.

Zu den von mir organisierten Gruppenreisen nach Liepaja in Lettland gehören zwei Reisen nach Graz/Österreich und Alkmaar/Niederlande
Alles sind Partnerstädte Darmstadts



Bella Grazia - nach 17 Jahren endlich wieder in der steirischen Schwesterstadt Graz. Anfang Mai 2002 machte sich die SPD-Fraktion auf "die Socken" in die 750 km entfernte zweitgrößte Stadt der Alpenrepublik Österreich. Graz empfing uns mit viel Sonne und dem ihr eigenen Charme. Einen Fluss haben viele Städte - aber einen über 200 Meter hohen Berg mitten in der Stadt nur wenige. Eine der größten Altstädte Europas liegt dem Schlossberg zu Füßen. Hinauf mit der alten Zahnradbahn und hinunter zu Fuss, da locken dann die vielen Innenhöfe mit Restaurants und Kneipen zum Ausruhen und "gesehen und gesehen werden."


2003





Alte Zeiten und neue Strategien in Alkmaar

Besuch in der Schwesterstadt Darmstadts

Eine gelungene Mischung aus kommunalpolitischen Informationen, lockeren Gesprächen und Auffrischung alter Freundschaften wurde einer Delegation der Darmstädter SPD-Stadtverordnetenfraktion von der Schwesterpartei Partei der Arbeit (PvdA) in der holländischen Partnerstadt Alkmaar präsentiert. Alkmaar ist im kommenden Jahr 45 Jahre mit Darmstadt verschwistert. Vielfältige Verbindungen auf allen Ebenen sind das Ergebnis der Zusammenarbeit beider Städte. Dies betonten beim Empfang übereinstimmend der stellvertretende Bürgermeister Henk Eggermont, Dezernent Cor van Vliet und Bürgermeister Wolfgang Glenz. Mit der PvdA-Fraktionsvorsitzenden Danielle Koelemij war zudem eine bekannte holländische Politikerin dabei, sie stand damit auch für den hohen politischen Frauenanteil in den Niederlanden.

Probleme bei der Drogenbekämpfung sind in beiden Städten gleichgelagert. Willem Braak und Hans van Ost erläuterten das HAFO-Projekt, das sowohl auf Prävention, wie auf der Rückführung der Belästigungen der Bevölkerung beruht. Auch in Alkmaar ist der Druck auf die Verantwortlichen der Stadt sehr hoch. Dabei räumte man mit dem Vorurteil auf, dass in den Niederlanden eine völlige Drogenfreigabe herrscht. Lediglich der Besitz von Kleinmengen weicher Drogen unterliegt nicht der Strafverfolgung. Die Netzwerkstruktur Stadt – Polizei – Gruppen und ein speziell für Drogen zuständiger Staatsanwalt ist wesentlich besser ausgeprägt als in Deutschland. Den straffällig gewordenen Süchtigen wird zur Wahl gestellt, ob sie intensive Hilfen mit Entzug annehmen oder mit schweren Strafen belegt werden.

Besonders interessant für Bürgermeister Wolfgang Glenz und Bau-Stadtrat Dieter Wenzel ist das Wohnprojekt Overdie im Süden Alkmaars. In den nächsten 10 Jahren findet hier eine Umstrukturierung für 200 Millionen Euro statt. Vizebürgermeister Henk Eggermont: „Hier werden wir mit integralem Einsatz den nach dem Krieg entstandenen einseitigen Bestand erneuern und durch neue bezahlbare Wohnungen ergänzen, neue öffentliche Freiräume und Parks werden entstehen."

Ebenfalls im Stadtteil Overdie gibt es die unter dem Namen „Breite Schule" firmierende Gesamtschule. Vorbildlich ist hier die Integration der vielen ausländischen Kinder in den Schulbetrieb geregelt. Dr. Michael Hüttenberger von der Darmstädter Erich-Kästner-Schule geriet fast ins Schwärmen: „Die Holländer sind mit der Chancengleichheit für nichtholländische Kinder und deren Integration viel weiter als wir. Das wird künftig Auswirkungen auf die Wirtschaft haben." Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und „Chef de Mission", der Darmstädter, Hans Werner Erb, war von den Verkehrslösungen in Alkmaar sehr angetan. Die kostenfrei nutzbare Fahrradtiefgarage und die Vielzahl von Fahrradständern sind imponierend. Vielen Darmstädter Stadtverordneten fiel das hohe Maß an Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmer auf.

Absoluter Höhepunkt der Reise war der stimmungsvolle Abend in der Galerie Chickory des Parteivorsitzenden Jostan Forrer und seiner Frau. Inmitten von Skulpturen und Gemälden konnte man bei gutem Essen und Trinken über alte Zeiten und neue Strategien sprechen. Auf jeden Fall werden die Kontakte auf Parteischiene weiter gepflegt. Im Bereich der Stadtverwaltungen läuft vieles sehr gut; so jüngst beim Kontakt beider Planungsämter. Zudem lohnt ein Besuch in Alkmaar zu jeder Jahreszeit. „Alkmaar ist Amsterdam kompakt," meinte ein Teilnehmer und damit hat er recht.
2002



"Euro-Noten sind ein technisches Wunderwerk“
Erinnerungen eines ehemaligen Banknotendruckers

Von 1976 bis 1980 hat der Darmstädter Klaus Wieland 5-, 50- und 500-Mark-Banknoten in der Bundesdruckerei Neu-Isenburg gefertigt. Ausgiebig Gelegenheit hatte er seit Anfang des Jahres, die neuen Noten zu begutachten. Resultat: Vor allem die Sicherheitsmerkmale haben sich völlig verändert. Legte man vor über 20 Jahren noch größten Wert auf den farbverlaufenden Irisdruck beim Untergrund, so zählen heute Finessen wie das Hologramm oder ein verbesserter Stichtiefdruck zu den Kriterien, die den Fälschern das Handwerk schwer machen sollen. „Damals begannen wir mit dem Druck automatengerechter Noten, was für uns Drucker fast revolutionär war,“ erinnert sich Wieland. Heute sind die unsichtbaren Zuschlagstoffe in der Farbe und im Papier Routine. Damals druckten wir die 50-Markscheine noch zu 28 „Nutzen“, wie es im Druckjargon heißt. Heute läuft der 50er Euro mit 35 Scheinen pro Bogen aus den riesigen Druckmaschinen, wie ein Foto der Bundesdruckerei zeigt. Wie lebt es sich jeden Tag mit Milliarden-Summen, die jedes Bankhaus neidisch werden lassen? Klaus Wieland: „Das erste Staunen verfliegt schnell. Dann konzentriert man sich auf die schwierige Materie und druckt dann Geld wie andere Bücher oder Zeitungen. Auch an die enormen Sicherheitsmassnahmen gewöhnt man sich rasch.“ Bis 1991 gaben sich in Neu-Isenburg die internationalen Banknoten-Experten von China über Indien oder die USA die „Klinke in die Hand“, man bewunderte die modernsten Fertigungsmethoden.
Die Bundesdruckerei wurde entstaatlicht und ist heute völlig privatisiert. 1992 kam der letzte 200-Mark-Schein in Neu-Isenburg aus der Presse. Der Wegfall des Transportrisikos durch die DDR machte Neu-Isenburg den „Garaus“: In Berlin entstanden neue Produktionsanlagen. Die Banknotenfertigung ist in Deutschland auf die Bundesdruckerei in Berlin und auf Gieseke und Devrient in München konzentriert. Jetzt hat man sich den Eurodruck geteilt. Bei der Bundesdruckerei ist man stolz auf die Einhaltung der Termine, obwohl sich die Auftragserteilung verzögert hatte. Zusätzlich druckte man parallel noch Noten für die Republik Estland.
Die ehemalige Staatsdruckerei muss sich wie jede Druckerei voll am Markt behaupten. Nach dem ersten Boom der Euro-Noten wird europaweit ausgeschrieben. International ist die Konkurrenz stark. Aufträge aus Ländern ohne eigene Banknotendruckerei sind in Europa als Überbrückung zwischen den Standard-Noten begehrt. Gern erinnert sich Wieland an die Zeit des Falls des Eisernen Vorhanges. Zu der Zeit war er Auftragsbearbeiter im Vertrieb und erinnert sich an die hektische Zeit um die 5-DM-Note: „Eigentlich war der Fünfer ein Auslaufmodell. Durch die geplante Währungsunion mit der DDR wurde die Note wieder interessant. Mit Erstaunen stellten wir fest, dass die Staatsdruckerei der DDR einen modernen Maschinenpark hatte. Die Noten wurden unter teils recht skurilen Sicherheitsvorkehrungen nach Leipzig gekarrt, um sie dort zu Nummerieren und Konfektionieren.“
„Mit dem Euro geht ein weiterer Jugendtraum in Erfüllung,“ meint Klaus Wieland. Das Zusammenwachsen Europas ist sein Herzenswunsch. Sauer ist er über die „Rundungs-Inflation“ mancher Händler. Dabei hofft er auf das gesunde Empfinden der Menschen in der Marktwirtschaft: „Das müssen die Verbraucher durch Verzicht und ständige Preisprüfung selbst in die Hand nehmen.“

Erschienen am 31. Januar 2002 in der "Arheilger Post"



Kurische Nehrung? Nie gehört –wo liegt das? Mit diesen Fragen sieht sich der Darmstädter Stadtverordnete Klaus Wieland häufig konfrontiert. Jetzt war er bereits zum dritten Mal auf dieser 96 Kilometer langen und nur wenige Fahrradminuten breiten Halbinsel in der erst seit 1991 wieder für uns zugänglichen geografischen Mitte Europas. Die Hälfte gehört zur touristisch noch völlig unerschlossenen russischen Exklave Königsberg, die Klaus Wieland vor fünf Jahren besuchte. Der Nordbereich ist Teil der 1991 von der untergegangenen Sowjetunion wieder verselbständigten Republik Litauen. Die Litauer mussten wohl aufgrund der vor einem Jahr erfolgten Visafreiheit und den Ambitionen auf einen EU-Beitritt die Grenzen zum russischen „Kaliningradskaja oblast", dem ehemaligen Nordteil Ostpreußens mit Königsberg, abriegeln. Der litauische Bereich der Kurischen Nehrung ist heute touristisch recht gut erschlossen. Große Hotels wird es (zum Glück!) nicht geben, dafür viele Privatquartiere, und Ferienwohnungen im nehrungstypischen Stil mit Holz in rot und blau. Von Hamburg fliegt die Lithuanian Airline täglich und ab Frankfurt Samstags bis Mitte September nach Palanga, nördlich von Klaipeda, dem ehemaligen Memel. Hier findet man einen anderen „Touristentyp", der für die Reize der Landschaft und die bewegte Geschichte des Baltikums aufgeschlossen ist. Die Einheimischen sind sehr freundlich und „nordisch-reserviert". Eingefleischte Bernstein-Gegner werden hier zu Fans des „baltischen Goldes". Es gibt das „Edel-Fossil" nicht nur in den uns bekannten Standard-Farben rotbraun oder gelb. In schwarz, grün oder gar blau sind die Schmuckstücke in Silberfassung zu haben.



Einmalige Landschaftsstruktur
Im Osten grenzt der riesige Süßwasser-See, das Kurische Haff, fünf mal größer als der Bodensee, an die Nehrung. Das Haff wird von unzähligen Flüssen, in erster Linie durch die Memel gespeist. Im Westen die Ostsee mit fast leeren Sandstränden. Die Bewaldung mit Kiefern und Birken bis an Haff und Meer tut das Übrige für eine höchstgesunde Luft, deren Wirkung sich bereits nach zwei Tagen Aufenthalt entfaltet. Wandern, Radfahren und Baden und ein wenig Kultur ist angesagt. Mit etwas Glück trifft man auf einen Elch, die Wildschweine sind an das Futter der Touristen gewöhnt.
Europäische Sahara
Charakteristisch für die Kurische Nehrung sind die bis zu 60 Meter hohen Dünen. Mühsam hat man durch Bewuchs die „Wanderung" zum Stillstand bekommen. 14 Siedlungen sind unter den Sandmassen begraben. Heute stehen die Sandberge unter Naturschutz. Der Gang über die Dünen ist mühsam aber beeindruckend. Dies hat Thomas Mann, der hier ab 1929 drei Sommer verbrachte, sehr treffend beschrieben. Überhaupt hatte es die Landschaft um den Hauptort Nida (Nidden) den Malern der „Brücke" angetan. In der Tat erscheint das Licht eigenartig fast silbrig weich über dem Haff. Thomas Mann sprach vom „Italienblick", damit meinte er auch die pinienartigen Kiefern, die sich im blauen Wasser des Haffs spiegeln. Heute lohnt sich unbedingt ein Besuch beim Maler Eduardas Jonuschas in den Niddener Dünen. Seine Werke sind meist düster und mit dem dramatischem Ausdruck des Todes behaftet: Jonuschas musste fünf Jahre seines Lebens in sibirischer Gefangenschaft verbringen.

Ausflüge
Im Programm haben die Kurische Nehrung mehrere deutsche Reiseveranstalter. Dabei ragt der in Nidden wohnende Werner Feser mit seiner Frau Auschra mit einem unkonventionellen Programm heraus (Internet: www.nehrung-reisen.de). Beide kümmern sich persönlich um die Gäste und bieten Ausflüge an. So kann man in das nahe Juodkrante (Schwarzort) fahren, dort die Skulpturen auf dem Hexenberg bewundern oder den Kormoranen zuschauen. Mit etwas Glück kann man von den „Toten Dünen" einen unvergesslichen Sonnenuntergang über Haff und Ostsee erleben. Einen halben Tag sollte man sich auf einem Schiffchen mit russischem Panzermotor gönnen und über das Haff in das Memeldelta fahren. Nach dem Besteigen eines Leuchtturms geht man in das kleine Museum mit einer blitzsauber geputzten Dampfmaschine. In Minge leben noch ein paar Deutsche. Wie sagte eine Mitreisende: „Ich könnte stundenlang mit diesen Menschen reden, sie sind wie wandelnde Geschichtsbücher." So wirkt die Reise in dieses lange vergessene Land noch lange nach, wie 1809 bei Wilhelm von Humboldt mit seiner Hommage: „Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso gut als Spanien und Italien gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll."
Seit dem 18. August 2001 ist die Kurische Nehrung von der UNO zum Weltnaturerbe benannt.

Ich empfehle Ihnen:



Ein Sommer ohne Piano-George ist kein Sommer

Mit seiner unverwechselbaren Musik hat uns Piano George erfreut. Levester George, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, spielte in meinem Garten für meine Gäste.

"Ein Sommer ohne Piano-George ist kein Sommer," diese Anmoderation meiner Frau klingt nach.

Piano-George, Weggefährte von Ray Charles, ist nicht mehr unter uns. George - wir  vermissen Dich!

Die "Centralstation" war beim Benefiz-Konzert ausverkauft. Seine Freunde kamen für ihn aus den USA.

2000

Polens Öffnung nach Westen

Nachdenkliche Reise eines Darmstädters

(k.w.)„Sechs Jahre sind ein kurzes geschichtliches Zeitmaß; in dieser Zeit hat sich in Polen viel getan." Der Darmstädter Klaus Wieland hat jetzt Niederschlesien besucht und festgestellt, dass sich sowohl wirtschaftlich, wie touristisch und vor allem in der Einstellung der Bevölkerung zu den Deutschen vieles geändert hat. „Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski hat in Darmstadt bei Veranstaltungen des Polen-Institutes gesagt, dass sich die Einstellung der Polen zu den Deutschen erheblich verbessert hat – ja, es hat sich eine Öffnung vollzogen. Umgekehrt hat sich viel zu wenig getan: Vorurteile werden gepflegt, statt abgebaut. Klaus Wieland kann dies bestätigen, zumal er in Begleitung eines perfekt polnisch sprechenden Verwandten viele Kontakte aufgebaut hat.

„Unsere Reise war sowohl geschichtlich, touristisch, wie kulturell hochinteressant" meint Klaus Wieland. Der Wiederaufbau der Innenstädte von Jelenia Gora (Hirschberg) und Wroclaw (Breslau) ist abgeschlossen. Beide Städte strahlen internationales Flair aus. Die historischen Gebäude nehmen den Besucher gefangen. Natürlich hat die katholische Kirche wie überall in Polen einen starken Einfluss. In Breslau lohnt nicht nur der Dom oder die Elisabethkirche einen Besuch. Die Abteikirche des Zisterzienser-Klosters Grüssau lockt die Touristen mit einer monumentalen zweitürmigen Fassade und einem überwältigenden barocken Hauptschiff mit wunderschönen Fresken.

...Mit seinem Warenangebot hat Polen bereits das Niveau der Europäischen Union erreicht. Das zeigt sich an der Zusammenarbeit von Firmen, joint ventures sind gefragt. Ein in Darmstadt seit wenigen Wochen ansässiger Supermarkt hat in Zgorzelec (Görlitz) und Walbrzych (Waldenburg) Einzug gehalten. In den Städten findet man moderne Geschäfte mit sehr freundlicher und vielfach deutsch sprechender Bedienung. Vor allem Glas und Keramik sind begehrte Mitbringsel. Klaus Wieland wohnte mit drei Begleitern im Hotel Baron in Hirschberg: „Das restaurierte Hotel in einem alten Gebäude kann unbedingt empfohlen werden, es stimmt einfach alles, vom sehr freundlichen Service bis zum Ambiente." Ein 24 Stunden bewachter Parkplatz ergänzt das Angebot.

...Ein touristischer Höhepunkt ist die Schneekoppe, mit 1.602 Metern der höchste Berg des Riesengebirges. Von Karpacz (Krummhübel) kommt man in 15 Minuten mit dem Lift auf die Kleine Koppe, um dann in etwa einer Stunde über die Schlesierbaude nach teils beschwerlichem Aufstieg den Gipfel zu erreichen. Man wird belohnt von Ausblicken in den polnischen und tschechischen Teil des Riesengebirges. Eine Kammwanderung lädt zu wunderschönen Ausblicken ein. Auch hier Internationalität: Man hört neben den „örtlichen Sprachen" englisch, holländisch und deutsch, vor 10 Jahren noch undenkbar. Auf keinen Fall sollten die Urlauber den Aufstieg zur Burg Kynast versäumen. Bei klarem Wetter hat man einen Ausblick auf „Rübezahls Reich" und den Hirschberger Talkessel. In Jagniatkow, dem ehemaligen Agnetendorf, kann man das „Haus Wiesenstein" des Dichters und Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann bewundern. Das Haus diente bis vor kurzem als Kinderheim und hat durch dem polnischen Staat bereits erhebliche Restaurations-Fortschritte gemacht. Vor allem die „Paradieshalle" mit Deckengemälden zeugen vom Geschmack des begüterten 1946 verstorbenen Dichters.

...Wer genügend Zeit mitbringt, sollte auf keinen Fall einen Besuch in der böhmischen Felsenstadt Adersbach versäumen. Man wird verzaubert durch riesige skurile Felsformationen. Viele Felsen tragen Namen wie Zuckerhut oder Rübezahls Zahn. Indianer, die Madonna und ein Liebespaar sind mit viel und wenig Fantasie zu erkennen. Man schiebt sich durch enge Felsengassen, geht treppauf treppab und gelangt über den Elefantenplatz zum großen Wasserfall. Die benachbarte Felsenstadt Wekelsdorf in Teplice nad Metuji sollte Adersbach ergänzen.

...Das Preisniveau ist in Polen sehr niedrig. Bereits für 20,00 bis 30,00 Mark kann eine Familie ein gutes Mittagessen inklusive Getränke genießen. Es gilt auch hier die alte Weisheit: „Iß dort, wo die Einheimischen hingehen." Was wir uns als EU-Bürger leisten können, gilt wegen des niedrigen Lohnniveaus nicht für viele Bürger Polens. Dennoch spürt man „ein Durchatmen" dieses von der Geschichte her so sehr geschundenen Volkes. Die Breslauer Markhallen stellen die von Frankfurt am Main in den Schatten. „Wir brauchen uns nicht mehr zu schämen," der Parkwächter am Breslauer Hauptbahnhof machte uns damit sehr nachdenklich. Do widzenia Polska – auf Wiedersehen Polen.

1998 Erschienen im Darmstädter Echo und Arheilger Post

Nördliches Ostpreußen

Menschen - Flüsse - Haff - Mahnungen

Von Klaus Wieland

Russland begann am Flughafen Hannover. Gerade 11 Fluggäste verloren sich  in der Tupolew 134A der AEROFLOT. Russisches Mineralnaja Voda kredenzte uns die Stewardess zur Begrüßung, als sei es bester Champagner. Allen Unkenrufen von Klaus Bednarz zum Trotz: Es war einer der ruhigsten Flüge, die wir in der über 30 Jahre alten Tupolew erlebten.

Und welch ein Landeanflug! Unter uns die weißen Dünen, Strände und Wälder der Kurischen Nehrung, garniert mit dem blauen Wasser des Haffs. Das Flughafengebäude, mehr an eine Baracke erinnernd, stammt noch aus der Vorkriegszeit und war das erste internationale Abfertigungshaus eines deutschen Flughafens, wie uns ein Mann verriet, der 1944 als 18-jähriger flüchten musste. Nach der Zollabfertigung die bange Frage: Kommt Leni Ehrlich? Leni kam und wir umarmten uns wie alte Freunde. Mit von der Partie war Oleg, der uns mit seinem Passat für 10,00 DM pro Stunde in alle Himmelsrichtungen kutschieren sollte. Schnell ließen wir den trostlosen Flughafen hinter uns, meine mühsam antrainierten Kyrillisch-Kenntnisse versetzten mich in die Lage, Ortsschilder und Wegweiser zu lesen. Namen wie Kaliningrad, Gurevsk und die Regionstadt Polessk (Labiau) tauchten auf. "Trinkt Ihr Wodka?" Leni fragte bewusst in Labiau, am dortigen Markt sollte noch Proviant für Gilge eingekauft werden. Nach einiger Suche konnte Leni zwei Flaschen Wein für uns ordern. Das landesübliche Weißbrot war nur noch eine Formsache.

Von Polessk nach Gilge
Hinter Polessk beginnt die Reise nach Gilge/Matrosowo (Leni: "Unser letztes Dorf am Ende der Welt"). Entlang dem unendlich langen Kanal, dem Großen Friedrichsgraben, parallel zum Haff, gehts vorbei an einzelnen Häusern und vielen Anglern. Störche bringen auch in Russland Glück. "Du brauchst hier nicht fotografieren, wir haben in Gilge viel mehr", bei Leni schwang Stolz in in der Stimme. Und wir waren noch gespannter auf ihr Dorf. Doch zuvor galt es im ehemaligen Elchwerder noch eine Ponton-Brücke über den Fluß Nemonien, beinahe mit den Schikanen einer deutschen "Tempo-30-Zone", zu überwinden. Zur Verhinderung eines Achsbruchs hieß es: Das Passat-Gewicht abspecken und aussteigen. Leni hakte sich unter und wir marschierten gemeinsam zum anderen Ufer. Olegs Schritttempo konnte oft einen Bodenkontakt des Passats nicht verhindern. Nach drei Kilometer romantischem Birkenweg bei Tempo 10 tauchte Gilge auf. Das >Leben am Fluss< begann. In der Tat hebt sich Lenis Haus ab. Liebevoll verputzt im Gegensatz zu den verfallenen Nachbarhäusern. Wir bekamen das Wunschzimmer mit Blick auf den Fluss: Unser Traum wurde erfüllt, ein glückliches Gefühl war in uns. Dazu nette familiäre Bande, die wir schnell knüpfen konnten. Da war Lenis Jüngster und Lenis älteste Tochter Violetta, verheiratet mit einem Fischer. Violetta hat ein faszinierendes, ausdrucksvolles Gesicht, ich glaube, daß sie bei manchem Filmregisseur der momentanen deutschen Welle Riesenchancen hätte. Lenis Tochter Maria sollten wir erst später kennenlernen.

 Cafe Ehrlich


 Leni mit Enkel


Wanderungen in der Elchniederung
Unzählige Bäche und Flüsse durchziehen das Mündungsdelta der Memel in das Kurische Haff: Einst Deutschlands größtes Naturschutzgebiet. Eine unberührte Landschaft mit einer unbeschreiblichen Vogelwelt tut sich auf. Schlangen tummeln sich im moortrüben Wasser. Das Quaken der Frösche zeigt, warum sich Störche und Schwarzstörche hier wohlfühlen. Das laute Aufeinanderprallen der Schnäbel wird mir noch lange in den Ohren klingen. Am Haff ein Eldorado für den Schilfrohrsänger, Nachtigallen, Schwäne und Wildenten. Keine in Deutschland durch EU-Mittel intensivierte Landwirtschaft hat diese Natur beschädigen können.


Gilge


Königsberg/Kaliningrad
Inmitten der im Krieg durch britische Bomber völlig zerstörten ehemaligen Altstadt befindet sich heute ein großer Park. Überragt wird alles von der Ruine des Doms. Mit Stolz erzählt man uns vom neuen Dach des Turms und der Erneuerung der berühmten Uhr. Die Wände des Kirchenschiffes werden mit Stahlkonstruktionen zusammengehalten: Betreten verboten. In mir steigt in diesem Trümmerfeld des Krieges ein ohnmächtiges Gefühl auf: "Tun wir alle genug, um den Wahnwitz der Zerstörung und Produzierung unendlichen menschlichen Leids künftig zu verhindern?"

Am Dom läuft ein Interview des Königsberger Fernsehens. Ich erkenne den Dombaumeister aus dem ARD-Film von Klaus Bednarz wieder, der das Bauwerk als Weltkulturerbe der Menschheit bezeichnet hatte. Familien machen Picknick auf den Wiesen. Die Menschen sind nett und freundlich. Meine Frau und Dolmetscherin Leni sind voran gegangen. Oleg und ich müssen uns mit Händen und Füßen verständigen und gelangen an das Grabmal von Immanuel Kant, der von Russen und Deutschen gleichermaßen verehrt wird. Kant ist der große Sohn der Stadt, lehrend an der Universität am Pregel, ein Gedenkstein erinnert an die Akademie, auch sie wurde Opfer des Krieges.

Ein Besuch im Bernsteinmuseum im Dohnaturm gehört zu den lohnenden Pflichtbesuchen. Bernstein-Schmuck kaufen? Wir verzichteten bei dem Gedanken, daß die Einheimischen dafür bis zu einen Monat arbeiten müssen. Ach was hat die Leni über das Essen in einem vornehmen Restaurant geschimpft: "Der Kartoffelbrei ist mit Mehl gestreckt." Köstlicher war da der Tee in einer mit Leni befreundeten Königsberger Familie. Im Haus das sattsam aus der DDR und anderen Ostländern bekannte Spiel: Der Hausflur- da Allgemeingut - in einem schlimmen Zustand, hinter der Wohnungstür dann das private Paradies mit Schrankwand, moderner Küche und Toilette in Bestzustand.

Cranz und die Nehrung
Am dritten Tag sollten wir die aus der Luft bewunderte Nehrung betreten. Am Eingang des Naturschutzgebietes Passkontrolle und 70.000 Rubel (21,00 DM). Unsere Pässe lagen zum Abstempeln auf der Regionalverwaltung in Polessk. Wir sahen unsere Chancen sinken. Doch Leni schaffte es: Wir durften auf die alte Poststraße. Die Nehrung trennt die Ostsee vom Haff und ist nur wenige Kilometer breit, eine schier unendlich lange und schmale Halbinsel. Wir suchten am völlig menschenleeren weißen Sandstrand mit riesigen Dünen nach Bernstein. Unsere Träume zerstoben, als Oleg unseren angeblichen Schatz als simple Steine entlarvte. Nach 45 Kilometern tauchte die litauische Grenze auf. Bei grimmig dreinblickenden Kalaschnikow-Trägern ließ ich die Kameras lieber auf dem Schoß, rüber konnten wir in die einstige Mit-Sowjetrepublik ohnehin wegen den fehlenden Pässen nicht. So machten wir uns auf in das einst malerische Rossitten am Haff. Die Backstein-Kirche ist russisch-orthodox geworden. In der Nachbarschaft die älteste Vogelwarte der Welt. Mein Eintrag ins Gästebuch: "Niemand kann diese Natur zerstören."

Auf der Rückfahrt noch eine Stippvisite im früheren Nobelbad Cranz, jetzt Selenogradsk: Was Klaus Bednarz in seinem Film so treffend darstellte, sieht in "Natura" noch viel viel schlimmer aus. In der Hoffnung auf private Investoren, die dem Badeort seinen alten Glanz zurückgeben, verließen wir die Stadt.

Maria
Lenis Tochter Maria ist von Geburt her taubstumm. Für 130,00 Mark im Monat lebt Maria in einem Schulheim bei Cranz. Spuren verrieten uns, dass das Haus schon zu deutscher Zeit bestand. Maria wusste nichts von unserem Kommen. Um so größer war ihre Freude, wie sie ihre Mutter sah. Für wenige Stunden nahmen wir sie mit nach Gilge.

Maria ist 18 Jahre alt und einem Jungen aus Weissrußland versprochen, der in Gilge aufgewachsen ist. Am 24. August 1997 wurde mit 200 Gästen Hochzeit gefeiert. Dieses nette und liebenswerte Mädchen soll 1.000 Kilometer entfernt in eine Bauernfamilie heiraten.

Für Leni ist die Heirat ein Glücksfall: "Die Eltern haben ein größeres Haus als ich." Also auch eine Sache der Versorgung. Das Schicksal des Mädchens ließ uns in den nächsten Tagen und bis heute nicht los. Am letzten Tag bat uns Maria, unseren Aufenthalt um eine Woche zu verlängern, die Sympathien beruhten auf Gegenseitigkeit.

Tilsit und Insterburg
Leni kennt überall Leute. In Tilsit konnten wir für Freunde die ineinander gesteckten >Babuschkas< erstehen, denn Andenkenläden gibt es nicht. Leni führte uns in ein Cafe und stellte uns die Besitzerin als Tante von Marias Künftigem vor. Tilsit interessierte mich, weil es im Krieg kaum zerstört wurde. Alte baufällige Häuser und Villen werden von schönstem Straßengrün besäumt. Hier kann man das frühere Leben in einer ostpreußischen Stadt ein wenig nachvollziehen. Niemand konnte mir die Frage beantworten, warum man das im Siegesrausch in Sovjetsk umgetaufte Tilsit nach dem Untergang der Sowjetunion nicht einen moderateren Namen geben kann. Die Rote Armee hatte Tilsit unbeachtet durchmarschiert, um das zerstörte Königsberg einzunehmen. Hier fielen mir die Worte eines Russland-Experten ein: Für die Siegermacht Russland haben zwei Dinge den höchsten Wert im Verhältnis zu Deutschland: Die Beutekunst und das Gebiet Königsberg (Kaliningradskaja oblast). Beides ist offenbar für die Russen an Symbolik nicht zu übertreffen. Schlimm sind manche "Heimwehtouristen", denen wir nicht immer aus dem Weg gehen konnten. Was blieb uns da anderes übrig, als uns für diese "Landsleute" zu entschuldigen und uns als die besseren Botschafter eines friedlichen Deutschland zu repräsentieren.

An der Luisenbrücke in Tilsit erlebten wir die Konfrontation mit der Grenze zu Litauen. Ein Grenzer gestattete mir, die Brücke zu filmen, sofort kam ein anderer und raunzte mich in scharfem Ton an: "No Foto!" An der Memel unten bettelnde Kinder. Die Memel ist wieder Grenzfluß zur 1939 durch den Teufelspakt Hitler-Stalin vereinnahmten Baltenrepublik Litauen.

Den Abschluß an diesem Tag erlebten wir in Insterburg mit dem russischen Namen Tschernjahovsk, Zeichen der absoluten Auslöschung von allem, was auch im Entferntesten deutsch klingt. Da ist Polen anders vorgegangen. Die gotische Backsteinkirche in Insterburg ist auch zu Lenis Verwunderung fast ganz wieder hergestellt. Das Straßenbild Insterburgs ist dem von Tilsit ähnlich: Alte Bürgerhäuser zeugen von einstigem Reichtum.

Wodka, Tanz und viel Spaß
Der Freitag Abend gehörte den Freunden Lenis. In ihrem Haus kamen Olga, Oleg und und und zusammen. Wodka als Aperitif, Wodka zwischendurch, Wodka zur Verdauung. Leni brachte köstliche Salate und ein Nudelgericht aus ihrer Heimat Kasachstan, die sie vor sieben Jahren verlassen hat, auf den Tisch. Bis in die späte Nacht haben wir nach russischen Weisen getanzt und viel gelacht. Leni liebt die Geselligkeit. Am besten hat ihr unsere wahre Geschichte gefallen, wie mit Hilfe von Tomatensalat und "Schampanski" im Taunus in einer Nacht durch die spezielle Pflanzmethode des Übelseins kräftige Tomaten wuchsen. An diesem Abend verlieh man mir feierlich die Schärpe des verdienten Kolschosenbauern aus Sowjetzeiten.

Schifffahrt auf der Gilge
Am letzten Tag noch ein absoluter Höhepunkt. Violettas Mann war mit seinem Fangschiff gekommen. Die ganze Mann-/Frauschaft rauf auf den Kahn. Vorbei an den alten und kaputten Häusern, den Anglern und der Schilflandschaft schipperten wir ins Haff. Bei herrlichstem Wetter und tiefliegender Sonne ein Boots-Picknick. Unsere Gastgeberin Leni kredenzte Brot mit Wurst und den unvermeidlichen Wodka. "Klaus - Du nimmst mich immer mit Schnaps auf." Dem war natürlich nicht so. Leni hat ein Stück meines Herzens in Gilge behalten. Eine großartige Frau, die sich für ihre Familie und Freunde durchschlägt und wenn es sein muss, total zerreißt.

Vier von zwölf von Lenis Kühen geben zur Zeit Milch. Wir genossen die beste Butter, die uns je über die Zunge ging.

Wehmut
Am frühen Sonntagmorgen noch einmal Lenis gutes Frühstück. Leni ging mit vielen Deutschen ins Gericht, die bei ihr offenbar den Hochmut herauskehrten. Klaus Bednarz sollen wir grüßen. "Er ist ein so lieber Mensch, wie Ihr." Leni berichtet von einem Telefonat mit Bednarz aus Tilsit: "Leni - ich möchte bei Dir Mittagessen und bin in zwei Stunden bei Dir." Von anderen Journalisten aus Deutschland hält sie nichts: "Ich sage ein Wort und sie machen fünf daraus." Oleg brachte uns allein an den Flughafen. Leni musste das Restaurant für 40 Gäste vorbereiten. Oleg umarmte uns und ich gestehe, daß ich Tränen in den Augenwinkeln hatte. Diese Woche war eine Bereicherung in meinem und unserem Leben. Ich fahre mit meiner Frau wieder hin, das Dorf und der Fluss Gilge, das Land und die Menschen haben uns tief beeindruckt. Zum Glück hat Leni Ehrlich Telefon.

Mai 1996

 
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